Mülheimer Gottestracht
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Im Gespräch mit Frau Stäge, Herrn Wagner, Herrn Dr. Müller-Platz, Herrn Feithen 
 
Ob religiös oder weltlich: Feiertage spielen im Laufe eines Jahres eine wichtige Rolle. Nicht nur, weil sie oft einen freien Arbeitstag mit sich bringen, sondern auch, weil sie dem Jahreszyklus eine Struktur und vielen Menschen Orientierung und Halt geben. Weihnachten und Ostern sind als christliche Feiertage fest etabliert und sind auch vielen Nicht-Christen zumindest inhaltlich grob bekannt. Anders sieht es da sicherlich mit dem Fronleichnamsfest aus. In der Gemeinde St. Clemens und Mauritius ist es nicht nur irgendein weiteres kirchliches Fest, sondern das herausragende Ereignis im Jahr.
 
Seit vielen Jahren findet an diesem Tag nämlich die sogenannte Gottestracht statt.
Corinna Stäge, Dr. Carl Müller-Platz, Michael Feithen und Pfarrer Stefan Wagner bilden die neue Steuerungsgruppe, die die Vorbereitungen auf dieses Event mit vielen weiteren Menschen aus der Gemeinde koordiniert.
 
Wenn man bei Google das Wort „Gottestracht“ eingibt, erscheint als erstes Suchergebnis der Wikipedia-Artikel „Mülheimer Gottestracht“. Aber was ist überhaupt eine Gottestracht?
Herr Feithen: „Gottestracht“ ist ein zusammengesetztes Wort. Der zweite Wortteil „Tracht“ bedeutet das Getragene, das Tragen, das Getragenwerden. Gottestracht ist also ein altes Wort mit der Bedeutung: der getragene Gott.
 
Ist die Gottestracht bzw. Fronleichnam heute noch mehr als Tradition und Folklore? 
Herr Wagner: Ja, das ist sie. Das ist wahrzunehmen bei den Menschen, die mitmachen, die die Gottestracht vorbereiten, durchführen und feiern. Es ist für Viele auch heute ein Fest des Glaubens. 
 
Die Mülheimer Fronleichnamsprozession auf dem Rhein blickt auf eine lange Geschichte. Doch wann und wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass die Menschen nicht an Land geblieben, sondern mit dem Schiff auf den Rhein gefahren sind?
Herr Dr. Müller-Platz: Genaue Quellen dazu gibt es nicht. Eine alte, mündlich überlieferte Sage erzählt von einem Diebstahl kostbarer Kelche aus der Clemenskirche. Der Dieb blieb in der Mitte des Stromes stecken, und die Mülheimer Bürger holten mit Schiffen und Booten das Diebesgut in einer Prozession zurück zur Clemenskirche. Daraus leitet sich die Schiffsprozession ab. Wahrscheinlich sind es zwei Prozessionsformen, die verschmolzen sind.
 
Das Fronleichnamsfest wurde im 13. Jahrhundert in der Kirchenprovinz Köln initiiert und durch Papst Urban IV als ein jährlich besonderes Fest über das tägliche Andenken des Sakramentes hinaus eingerichtet, so die tiefere Bedeutung für die Katholiken.
 
Mit Flurprozessionen wurden von alters her der Segen auf eine gute Ernte und der Schutz vor Unwetter erfleht.
 
Da die Mülheimer in damaliger Zeit auch vom Fischfang, dem Bootsbau und dem Handel auf dem Rhein lebten, wurde eben auch der Rhein als Existenzgrundlage in diesen Segen über Land und Strom einbezogen.
 
Verschiedene Historiker legen den Ursprung der Mülheimer Gottestracht schon auf die Zeit vor Martin Luther.
 
Dieses Jahr darf ich das erste Mal an der Gottestracht teilnehmen. Wann hast Du zum ersten Mal teilgenommen und an was erinnerst Du dich besonders gern?
Frau Stäge: 1998 habe ich als Kommunionkind zum ersten Mal teilgenommen. Ich weiß noch, dass es was ganz Besonderes war, im weißen Kleid an der großen Kirmes vorbei durch die Straßen zu ziehen. Auch das Böllern der Schützen hat mich damals total fasziniert.
 
Die Gottestracht, die mir wirklich im Kopf geblieben ist, ist als wir sehr schlechtes Wetter hatten. Ich weiß nicht mehr, wann das war, aber es hat geschüttet und gestürmt. Jeder musste versuchen, irgendwas zu retten. Trotzdem sind Kerzenleuchter kaputt gegangen, und Fahnen sind im Rhein gelandet und waren weg. Das war sehr heftig. 
 
Viele Menschen nutzen den Fronleichnamstag mit einem Brückentag als verlängertes Wochenende und fahren auch gerne in den Kurzurlaub. Warum sollte man nicht wegfahren und stattdessen zur Mülheimer Gottestracht kommen? 
Herr Wagner: Wer wegfährt, verpasst etwas. Wer nicht dabei ist, verpasst einen wunderbaren Tag auf dem Rhein, am Ufer und in den Kirchen. Es ist ein Fest, das viele Menschen einlädt dazuzukommen, mit zu tun und zu feiern.
 
Wenn ich an Fronleichnam denke, denke ich an einen Gottesdienst mit anschließender Prozession. Wie sieht der Ablauf in Mülheim aus, und was unterscheidet sich von einem „normalen“ Fronleichnamstag? 
Herr Feithen: Der Fronleichnamstag in Mülheim ist geprägt von einer Dreiteilung: Festgottesdienst, Landprozession und Flussprozession. Alle Bestandteile haben ihre eigene Ausprägung und besonderen Merkmale. Das Fest steht in der Regel unter einem übergeordneten Thema, das sich in unterschiedlichen Aktionen und Ausdrucksformen wiederfindet. Im vergangenen Jahr war es das Thema „Zu neuen Ufern“, und 2019 hieß das Thema „Brotzeit – Gerechtigkeit statt Opfer“. Die Aktionen sind Bestandteil des Festgottesdienstes in der Liebfrauenkirche und der Flussprozession auf dem Prozessionsschiff. Die Landprozession verbindet klassisch die beiden Elemente Festgottesdienst und Flussprozession in bekannter, althergebrachter Art.
 
Die Vorbereitungen für dieses „Spektakel“ laufen nicht erst ein paar Tage vorher an, sondern bereits Monate. An was muss alles gedacht werden, damit diese „fromme“ Schifffahrt stattfinden kann, und wer ist alles beteiligt? 
Frau Stäge: An den Vorbereitungen für Fronleichnam sind ganz viele Helferinnen und Helfer beteiligt. Da gibt es ganz viele und unterschiedliche Aufgaben. Es gibt z. B. ein Team, das sich nur mit der Sicherheit auseinandersetzt und verschiedenste Absprachen treffen muss. Darüber hinaus muss Kontakt mit der DLRG, der KD, den Rudervereinen, den Maltesern und vielen anderen aufgenommen werden. Das ist nur ein kleiner Auszug der Dinge, die im Vorfeld alle abgeklärt werden müssen.
 
Nicht nur die Corona-Pandemie hat Vieles verändert. Die Kirche steht mehr denn je in einem vielschichtigen Spannungsverhältnis. Es gibt kritische Anfragen von Außen und Innen. Inwiefern beeinflusst das die Vorbereitungen?
Herr Dr. Müller-Platz: Die praktischen Vorbereitungen werden davon nicht beeinflusst. Das rechtsrheinische Ufer von der Mülheimer Brücke bis zur Schlackenbergwerft und die Clemenskirche werden am Vorabend beflaggt; auf dem Oberdeck des Schiffes, der RheinFantasie, wird ein Altar und am Bug ein großes Kreuz aufgebaut, die Reling zusätzlich mit Girlanden und Fahnen geschmückt.
 
Eine gewisse Gleichgültigkeit auch bei vielen Katholiken gegenüber dem Sinn dieses arbeitsfreien Festtages und seiner Prägung kann man verspüren.
 
Kritische Fragen von „Außen“ und „Innen“ helfen aber letztlich, das eigene Tun in das Große und Ganze einzuordnen.
 
Ist die Gottestracht als eine in unsere Zeit übertragene Tradition zu sehen, oder ist auch der tiefere Sinn des katholischen Festtages, Verehrung Christi in seiner Gegenwart, erhalten geblieben?
 
Gerade bei der Mülheimer Gottestracht in ihrer Ausprägung, Land und Strom in den Segen einzubeziehen zeigt sich die alte Bedeutung des Festes auch als neue auf: Die Fruchtbarkeit des Bodens, die auch vom Wetter abhängig ist und die Fülle des Wassers, das wir letztlich zum Leben benötigen, sind uns gegeben und nicht von uns Menschen geschaffen – oder um es mit den Worten von Friedrich Schiller aus dem Lied von der Glocke auszudrücken: “Doch der Segen kommt von oben.”
 
Die Steuerungsgruppe hat sich in den vergangenen Jahren auch immer ein Motto überlegt. Das Motto in diesem Jahr lautet „Eingeladen zum Fest des Glaubens“. Was soll mit diesem Motto vermittelt werden, und wie gestaltet sich das Netzwerk rund um die Gottestracht? 
Herr Wagner: Hinter dem Motto steckt an erster Stelle die Einladung, die Gottestracht kennen zu lernen. Wer neugierig ist und wissen will, was das überhaupt ist, ist bei uns herzlich willkommen. 
 
Es ist auch die Einladung, eine Gemeinschaft zu erleben. Das gilt für die Prozessionsfahrt am Vormittag ebenso wie für Nachmittagsfahrt. 
 
Am Vormittag steht die Heilige Kommunion in der Monstranz im Mittelpunkt. Kommunion heißt Gemeinschaft. Das wollen wir leben. 
 
Der Fronleichnamstag ist vorbei, die Teilnehmenden sind nach Hause gegangen, Sie sitzen gemeinsam am Rhein, haben ein Glas Wein oder eine Flasche Bier in der Hand und blicken auf den Tag zurück. Wie muss es gelaufen sein, damit Sie zufrieden und glücklich nach Hause gehen können?
Frau Stäge: Wenn alles einigermaßen reibungslos funktioniert hat, wäre ich sehr zufrieden. Möglichst ohne Zwischenfälle und wenig Einsätze der Malteser wäre schön. Die Menschen, die teilgenommen haben, sollen Spaß und einen schönen Tag haben. Das ist das Wichtigste. 
 
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Dieses Interview führte Michael Schmitt


 

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