Mülheimer Gottestracht
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IHRE RÜCKMELDUNG ZÄHLT ...
 
Nur einen Steinwurf von uns entfernt, findet jedes Jahr im August in den Messehallen in Köln-Deutz die gamescom statt. Hundertausende Jugendliche und junge Erwachsene pilgern dort hin, um sich die neuesten Trends im Bereich der elektronischen Spieleunterhaltung anzusehen. Ginge ich mit meinen 35 Jahren noch auf diese Messe, wäre ich der Methusalem unter den Anwesenden. Wer ernsthaft noch behauptet, die jüngeren Generationen seien „für nichts zu begeistern“, der muss sich nur mal in die Nähe dieser Unterhaltungsmesse begeben und wird schnell festzustellen, welche Strapazen und Reisen die Menschen auf sich nehmen, um bei der gamescom dabei zu sein. 
 
Als im Juni diesen Jahres der Ministrantentag in Altenberg stattgefunden hat, war man froh, dass ungefähr 1000 junge Menschen gekommen sind. 
 
Das Traurige ist: Die Kirche verliert die Jugend nicht, sie hat sie längst verloren. Nicht erst heute. Denn die Kirche – natürlich nicht überall – schottet sich mit beeindruckender Borniertheit von der Lebenswelt der Menschen und insbesondere jüngerer Menschen ab. 
 
Die nach wie vor mangelhafte Aufarbeitung der Missbrauchsskandale, die fehlende Anerkennung nicht heterosexueller Beziehungen oder diskriminierende Frauenbilder sorgen bei heutigen Jugendlichen bestenfalls noch für ein müdes Lächeln. 
 
Eine Kirche, wie sie sich insbesondere in unserem Bistum zeigt, juckt die Jugend schlicht nicht mehr. Sie reizt nicht mal mehr. Sie fordert nicht mal mehr zur Diskussion heraus. Denn die Kirche ist ein hoffnungsloser Fall, bei dem sich doch eh nichts ändern wird. So zumindest empfinden das junge Menschen, mit denen ich ins Gespräch komme. 
 
Die Kirche, ob Rom oder Köln, tut sich unfassbar schwer damit, sich dem Leben mit all seinen Ambivalenzen und auch Wiedersprüchen zuzuwenden. Sie verkriecht sich lieber in ihrem Elfenbeinturm und sitzt die Dinge aus, statt die Welt ernst zu nehmen. 
 
Dabei erzählen die Evangelien doch eine ganz andere Geschichte. Jesus selbst ging hinaus in die Welt, hat die Menschen ernst genommen und nicht die Menschen seiner Botschaft, sondern die Botschaft den Menschen angepasst. Er hat sich niemand verschlossen, nur weil er oder sie vielleicht nicht irgendeiner menschengemachten Norm entsprach. Die Kirche war in den ersten Jahrhunderten gerade deshalb so erfolgreich, weil sie es schaffte, so divers und integrativ zu sein. Der Versuch, möglichst zu vereinheitlichen ist ein Phänomen der Neuzeit.
 
Im Erzbistum Köln gibt es seit einigen Jahren den sogenannten Diözesanpastoralrat. Schaut man auf die Zusammensetzung dieses Gremiums, zucke zumindest ich kurz zusammen. Unter den Mitgliedern finden sich in erster Linie Bischöfe, Stadt- und Kreisdechanten oder Generalvikariatsmitarbeitende.
 
Doch noch erschreckender als das eindimensionale Aufgebot der Mitglieder ist die Altersstruktur. Mitglieder unter 40 findet man hier schlicht nicht. Die Majorität der Beratenden ist um die 60 Jahre alt. 
 
Seit längerer Zeit schon frage ich mich, ob man allen Ernstes glaubt, dass diese Zusammenkunft alter weißer Männer (und einiger weniger alter weißer Frauen) eine angemessene Repräsentanz für das Volk Gottes ist.
 
Wünschenswert und zielführend wäre es aber schon, dass auch die 16-Jährige Messdienerin, der 19-Jährige Pfadfinderleiter oder andere Jugendgruppierungen gehört würden – und sogar mitentscheiden. 
 
Der Diözesanpastoralrat ist ein schönes Beispiel für die Ignoranz der „Boomer“-Generation und eine Ursache für den Exodus der Jugend. Das Problem der übermachtigen „Boomer“-Generation spiegelt sich in der gesamten Gesellschaft wieder. Doch in der Kirche ist es potenziert und besonders evident.
 
 Der Rat will die Zukunft – die aber nicht mehr ihre Zeit ist – in den Blick nehmen und gestalten. Doch man tut nicht gut daran, wenn man über die Köpfe hinweg behaupten will, was für andere gut sein soll. Man kann auch nicht mit den Lösungen von gestern die Probleme von morgen lösen. Es führt eigentlich kein Weg daran vorbei, auf die Jüngeren selbst zu hören, diesen ein Forum für ihre Fragen und Bedürfnisse zu eröffnen und ihnen gleichzeitig Gestaltungsspielraum zu geben. Das bedeutet auch, ihnen Macht zu geben, die an anderer Stelle abgegeben werden muss. 
 
Nein, die Zukunft der Kirche sieht wahrlich nicht rosig aus und vielleicht ist es sogar schon zu spät, das Ruder nochmal rumzureißen. Ich hoffe, dass noch genug Zeit und Spielraum ist, wenn die Entscheider von heute einsichtig geworden sind oder in den verdienten Ruhestand gegangen sind und der Weg frei geworden ist.
 
Bezogen auf die eingangs erwähnte gamescom ist es erstaunlich, dass die ausgeprägte Computerspielekultur keine Berücksichtigung in der Verkündigung findet. Es gibt auch so gut wie keine Literatur, die sich mit dem Thema Religion und Gaming aus kirchlicher Perspektive beschäftigt. Dabei sind die religiösen Anspielungen in Computerspielen keine Besonderheit. 
 
„Geht hinaus in die ganze Welt“ sagt Jesus. Die ganze Welt sind dann eben auch Lebenswelten wie die gamescom. Das ist nicht leicht und auch unbequem, weil es jenseits der Komfortzone ist. Ich glaube aber, dass kein Weg daran vorbeiführt, die Kirche aus ihren festen Mauern hinauszutragen, wenn die Botschaft des Evangeliums eine Überlebenschance haben soll. 
 
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Evangelium auch für jüngere Generationen noch einen Mehrwert darstellt. Das Problem, warum die Kirche die Jugend nicht mehr erreicht, ist nicht die Jugend, sondern die Kirche (die es als „die“ Kirche so natürlich auch nicht gibt), in der immer noch erwartet wird, dass man sich ihr anpasst. 
 
Seit den alten Griechen wird über „die Jugend von heute“ gemosert, weil sie eben nicht mehr so ist, wie die Generation vor ihr. Anstatt darüber zu klagen, wäre es viel sinniger, das als völlig natürliche Veränderungsprozesse anzunehmen und gemeinsam mit den Jüngeren an der Zukunft zu basteln. 
 
Für die Kirche gibt es hier noch besonders viel Lernpotential. Aber wo viel Potential ist, gibt es auch viele Chancen.
 
Text: Michael Schmitt
 

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